Biopharmazeutika-Markt: Wettbewerb nicht verhindern

Durch politische Weichenstellungen der letzten Jahre werden für Biosimilars ähnliche Rabattverträge wie für Generika denkbar. Doch ist das wirklich sinnvoll? Als Alternative schlagen Experten einen mehrphasigen, kollektivvertraglichen Ansatz vor, der sowohl Anreize für den Markteintritt als auch Einsparungen generiert. Biologische Arzneimittel haben in vielen Indikationsbereichen neue therapeutische Möglichkeiten eröffnet. Mittlerweile werden immer mehr biosimilare Produkte entwickelt, die darauf abzielen, Wirtschaftlichkeitsreserven zu heben und gleichzeitig den bisher vielfach noch begrenzten Zugang zu biopharmazeutischen Arzneimitteln zu verbessern. So gab es Stand April 2021 in der Europäischen Union (EU) insgesamt 67 zugelassene Biosimilars, darunter u. a. mehrere Adalimumab-, Bevacizumab- und Trastuzumab-Biosimilars [1]. Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) hat die Politik im Sommer 2019 Weichenstellungen für den Markt der biosimilarfähigen Arzneimittel vorgenommen, die seither schrittweise umgesetzt werden. Insbesondere wurde der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beauftragt, in seine Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V Hinweise zur Austauschbarkeit (Substitution) von Biologika durch Biosimilars im Rahmen der ärztlichen Verordnung sowie nachgelagert in der Apotheke aufzunehmen. Was die ärztliche Seite angeht, ist der G-BA seiner Verpflichtung mit dem neuen § 40a der Arzneimittel-Richtlinie bereits im Sommer 2020 nachgekommen. Bis August 2022 muss nun über die Austauschbarkeit auf Apothekenebene entschieden werden. Biosimilars sind keine Generika Dem komme aus Regulierungssicht besondere Bedeutung zu, betonen die Experten für Gesundheitsökonomie um Cosima Bauer und Professor Dr. Uwe May vom Beratungsunternehmen May und Bauer – Konzepte im Gesundheitsmarkt in einem im Auftrag von Pfizer erstellten Konzeptpapier [2]. Eine automatische Substitution in der Apotheke ebne bei den Biosimilars den Weg für kassenindividuelle Rabattverträge, wie sie aus dem Generikamarkt bekannt seien. Dies sei deswegen problematisch, weil es Folgewirkungen haben könne, die sowohl zulasten der Versorgung als auch zulasten der Einsparpotenziale von Biosimilars gingen. Biosimilars und Generika seien zwei unterschiedliche, nicht vergleichbare Produktgruppen. So dauere die Entwicklung von Biosimilars mit im Schnitt acht Jahren mehr als doppelt so lange wie die von Generika. Die wissenschaftlichen Anforderungen seien höher, da Biosimilars in einer Referenzindikation eine vollwertige Zulassungsstudie vorlegen müssten und nicht nur Bioäquivalenzdaten. Der Produktionsprozess der komplexen Makromoleküle sei außerdem deutlich anspruchsvoller als bei Generika. Und die durchschnittlichen Entwicklungskosten seien mit rund 200 Millionen US-Dollar entsprechend höher als bei Generika mit unter fünf Millionen US-Dollar [2]. Gefahr ungünstiger Marktdynamiken Die Experten sehen vor diesem Hintergrund die Gefahr, dass Rabattvertragsausschreibungen zu ungünstigen Marktdynamiken führen, die am Ende weder Patienten noch Kostenträgern helfen. Dies gelte in etablierten Biosimilar-Märkten, wo durch exklusive Ausschreibungen ein ruinöser Wettbewerb drohe, bei dem Anbieter aus dem Markt gedrängt werden könnten. Probleme sehen die Experten aber auch und gerade bei neuen biosimilarfähigen Biopharmazeutika. Hier falle bei einer Aut-idem-Regelung die rabattvertragsfreie Vermarktungsphase nach Produkteinführung weg. Dies könne eine erhebliche Markteintrittshürde darstellen mit der Folge, dass die Zahl der Anbieter am Ende geringer sei als das bei den etablierten Biosimilarmärkten bisher der Fall ist. In der Gesamtschau kommen Bauer et al. zu dem Schluss, dass die Gesundheitspolitik den Besonderheiten des Biosimilarmarkts nicht mit einem aus der Generikawelt kopierten Erstattungssystem gerecht werden könne. Plädiert wird daher für ein Erstattungsmodell mit einem kollektivvertraglich bestimmten GKV-Erstattungsbetrag (s. Abb.). Abb. 1 Preisgestaltung in sechs Schritten Springer Medizin Verlag GmbH × Alternatives Erstattungsmodell Ein solcher Ansatz würde mit einer fixen Preisobergrenze arbeiten, die als prozentualer Abschlag vom Preis des Originalpräparats im Kollektivvertrag festgelegt wird und deren Überschreiten nicht – wie bei den Festbeträgen – eine Zuzahlung, sondern einen Ausschluss aus der Erstattungsfähigkeit nach sich zöge. Die Preisobergrenze würde über einen mehrjährigen Zeitraum sukzessive abgesenkt, hinterlegt mit Verordnungsquoten. Am Ende resultiert eine Art mehrjähriger Schutzfrist, die einerseits den Kostenträgern bereits Einsparungen bringt, andererseits aber dafür sorgt, dass das Marktumfeld für „Einsteiger“ attraktiv bleibt. Hat sich auf diese Weise ein Biosimilar-Markt mit mehreren Anbietern etabliert, erfolgt der Eintritt in eine Phase einer marktbasierten Preisdynamik. Hauptvorteil dieses Ansatzes sei, dass in den ersten Jahren nach Patentablauf ein scharfer Preiswettbewerb vermieden werde, so Bauer: „Ein Nebeneffekt ist, dass die Diskussion über die Austauschbarkeit an Brisanz verliert, weil es in dem vorgeschlagenen Modell zumindest vorerst keinen Anlass für eine Substitution gibt.“ Ob die Gesundheitspolitik den Diskussionsvorschlag aufgreift, bleibt abzuwarten. Neben einem kollektivvertraglichen Modell hält Bauer auch Ausschreibungen mit Mehrpartnermodellen für denkbar, die jedenfalls besser seien als kassenindividuelle Rabattverträge. „Wie auch immer das Erstattungsmodell am Ende aussieht, es wird nur dann ein Erfolg, wenn es einen ökonomischen Anreiz für Markteinführungen von Biosimilars gibt“, so Bauer. Vertrauen darf nicht beschädigt werden Privatdozent Dr. Hans-Christian Kolberg, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Marienhospital in Bottrop, spricht sich gegen eine Substitution von Biosimilars aus. privat × Wo und wie umfangreich setzen Sie Biosimilars ein? PD Dr. Hans-Christian Kolberg: Bei uns liegt der Stellenwert der Biopharmazeutika vor allem im Bereich der Gynäko-Onkologie und Senologie. Hier verwenden wir mittlerweile im wesentlichen Biosimilars. Wie sehen Sie eine Substitution von Biopharmazeutika auf Apothekenebene im Rahmen von Rabattverträgen? Ich halte das für indiskutabel. Wir reden von Medikamenten, die einzeln eine Zulassung mit Nachweis von Effektivität und Toxizität benötigen. Das ist eine andere Situation als bei Generika. Es ist meine Aufgabe als Arzt, im Gespräch mit der Patientin das Biopharmazeutikum auszuwählen. Natürlich ist es immer derselbe Antikörper, aber die Präparate sind nicht identisch. Es handelt sich um komplexe Medikamente mit unterschiedlicher Herstellung. Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft betont, dass Patienten im ärztlichen Gespräch individuell aufzuklären sind, wenn sie ein Biosimilar erhalten. Da kann dann nicht einfach auf ein anderes Biosimilar gewechselt werden. Sehen Sie auch Schwierigkeiten bei der Dokumentation? Bei der Dokumentation lässt sich streiten, ob das ein großes Problem ist. Mein größeres Problem ist der Vertrauensverlust, wenn der Eindruck entsteht, dass nicht das vom Arzt empfohlene Präparat zum Einsatz kommt. Vor allem bei einer Langzeittherapie können anlasslose Umstellungen das Vertrauen beschädigen – und damit letztlich den Therapieerfolg gefährden. „Biologika werden immer wichtiger“ Kassenindividuelle Verträge bei Zubereitungen sind nicht praktikabel, betont Christiane König, Leiterin der Marienapotheke in Neuss und Vizepräsidentin des Verbands der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker e. V. (VZA). privat × Wie ist der Stellenwert von Biologika in der Apotheke, und wie kommunizieren Sie mit dem Arzt? Christiane König: Biologika werden immer wichtiger, in der Onkologie, aber auch zum Beispiel bei rheumatologischen Patienten. Im Moment ist es so, dass der Arzt sowohl bei Fertigarzneimitteln als auch bei Zubereitungen genau verordnet, welches Originalpräparat oder Biosimilar der Patient bekommen soll. Rücksprachen gibt es nur, wenn die Verordnung unklar ist. Was würden kassenindividuelle Rabattverträge bei Biopharmazeutika bedeuten? Bei Zubereitungen sind kassenindividuelle Verträge nicht praktikabel. Ich kann nicht beliebig viele wirkstoffgleiche Biologika von unterschiedlichen Anbietern vorrätig halten, deren Inhalt nur begrenzt haltbar ist. Das würde zu einem Chaos unter der Werkbank und vielen unnötigen Verwürfen führen. Daher müssen die Krankenkassen für diese Produkte einheitlich und gemeinsam Rabattverträge abschließen. Bei den Fertigarzneimitteln sehe ich zumindest offene Fragen. Inwiefern? Der Patient muss vernünftig versorgt werden können, das ist das Entscheidende. Ich denke, dass es bei einer Substitution in der Apotheke Diskussionen geben würde. Die Patienten nehmen Biologika oft jahrelang und sind dann entsprechend vertraut mit der Handhabung. Das zweite ist die Liefersicherheit bei diesen hochpreisigen Medikamenten. Es kann nicht sein, dass Apotheker bei Lieferproblemen Gefahr laufen, retaxiert zu werden. Auch lange Genehmigungsverfahren sind in solchen Situationen nicht zumutbar. Einsparungen sind wichtig, aber der Patient muss an erster Stelle stehen. Literatur https://www.vfa.de/de/wirtschaft-politik/positionen/pos-biopharmazeutika-originalprodukte-und-biosimilars.pdf/biosimilars-uebersicht-originalpraeparate.pdf (letzter Zugriff: 19.05.2021) Bauer C, May U, Giulini-Limbach C, Monitor Versorgungsforschung 2021, Online first, http://doi.org/10.24945/MVF.04.21.1866-0533.2320 (letzter Zugriff: 19.05.2021) Impressum Literaturarbeit Berichterstattung: Philipp Grätzel, Berlin Artikel gedruckt in: Ärzte Zeitung Nr. 44, 16. Juni 2021 Ärzte Zeitung für Onkologen und Hämatologen Nr. 5, 25. Juni 2021 Mit freundlicher Unterstützung der Pfizer Pharma GmbH, Berlin Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Tobias Berenz Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Biopharmazeutika-Markt: Wettbewerb nicht verhindern

Live-Webinar "Urologie und Sexualmedizin in der Praxis"

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten