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Erschienen in: Die Ophthalmologie 1/2024

Open Access 02.10.2023 | Originalien

Überprüfung visueller Defizite durch die Polizei bei Verkehrsteilnehmern in Deutschland

verfasst von: M. C. Bartram, J. Kanngießer, K. Hufendiek, C. Schalhorn, C. Framme

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 1/2024

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Zusammenfassung

Hintergrund

Der Berufsverband der Augenärzte (BVA) schätzt, dass auf deutschen Straßen mindestens hunderttausende Verkehrsunfälle mit zehntausenden Verletzten und Toten jährlich durch bekannte und nicht-bekannte Störungen des Sehens verursacht werden. Die Polizei hatte bisher allerdings nicht die Möglichkeit, bei fahrauffälligen Personen potenzielle Sehstörungen vor Ort zu prüfen. In einem Pilotprojekt der Polizei mit der Augenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wurde erstmals darauf abgezielt, die bisherigen Tests der Polizei durch angepasste „Car-side“-Sehprüfungen zu erweitern.

Material und Methode

Vor Ort werden die Augenmotilität, die Pupillengröße und die Lichtreaktion von Autofahrern evaluiert sowie eine orientierende Sehschärfenprüfung und ein orientierendes Konfrontationsgesichtsfeld durchgeführt. Die praktische Durchführung sämtlicher Untersuchungsmodalitäten wurde zuvor abgestimmt und trainiert.

Ergebnisse

Umfang und Art der einzelnen Untersuchungen zur Abschätzung der Sehfähigkeit am PKW wurden beschrieben und standardisiert. Neben den visuellen Merkmalen werden auch bekanntere neurologische Tests, wie z. B. „Gerade auf einer Linie laufen“, erfasst. Durch die kombinierte Testauswertung ergibt sich eine objektive Grundlage zur behördlichen Entscheidung einer ggf. notwendigen sofortigen Führerscheinsicherstellung und zu dem Einleiten weiterer Maßnahmen wie beispielsweise einer augenärztlichen Überprüfung. Mit diesen Neuerungen hat die Polizei Niedersachsen ihr Ausbildungskonzept zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit überarbeitet und Anfang 2022 inklusive der augenärztlicherseits empfohlenen Sehprüfungen zur Umsetzung herausgegeben. Mittlerweile sind in Niedersachsen rund 150 Beamte ausgebildet worden und haben jetzt die Berechtigung „qualifizierte Fahrtüchtigkeitsprüfungen“ durchzuführen. Diesbezüglich wurde bereits eine Vielzahl von entsprechenden Verkehrsprüfungen durchgeführt, und die Weiterfahrten von Verkehrsteilnehmern mit erheblichen visuellen Defiziten wurden unterbunden.

Schlussfolgerung

In diesem Pilotprojekt wurde erstmals darauf abgezielt, die gängigen Testverfahren der (Verkehrs‑)Polizei zur Erkennung von verkehrsgefährdenden Autofahrern neben Screening auf Alkohol, Drogen und neurologische Defizite um spezifische Tests zur Erkennung von visuellen Defiziten zu erweitern. Das entsprechende Training der Polizeibeamten wurde in Niedersachsen und Hamburg flächendeckend durchgeführt, und die Maßnahmen finden aktuell bei Verkehrskontrollen im Bedarfsfall Anwendung. Die überprüften Merkmale sollen zukünftig auch in einem gewichteten Score bewertet werden und eine objektive Entscheidungsgrundlage für die Polizei darstellen, bei entsprechenden Defiziten ggf. eine Weiterfahrt zu unterbinden.
Hinweise

Zusatzmaterial online

Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Artikels (https://​doi.​org/​10.​1007/​s00347-023-01928-z) enthalten.
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Hintergrund

Der Aspekt des Sehens ist bei der Teilnahme am Straßenverkehr für die Verkehrssicherheit von zentraler Bedeutung. Nach Erwerb der Fahrerlaubnis sind bei PKW-Fahrern und auch beim Fahren einiger anderer Fahrzeuge (Klassen: A, A1, A2, B, BE, AM, L, T) vom Gesetzgeber keine weiteren Überprüfungen der Sehfähigkeit in Deutschland mehr vorgeschrieben (Ausnahme: für die Verlängerung der Führerscheinklassen C1 und C1E sind ab dem 50. Lebensjahr unter anderem ein augenärztliches und ein allgemeinärztliches Gutachten nötig) [1]. Während Autos also regelmäßig per Gesetz zur Haupt- und Abgasuntersuchung (HU/AU) vorgestellt werden müssen, ist eine wiederkehrende Untersuchung des Privatfahrers bislang nicht vorgesehen. Werden allerdings Zweifel bekannt, dass das erforderliche Sehvermögen nicht vorliegt, kann die Verwaltungsbehörde entsprechende Untersuchungen anordnen (§ 12 FeV i. V. m. Anlage 6 FeV) [1].
Im Straßenverkehr werden etwa 90 % aller Sinneseindrücke mit den Augen wahrgenommen und die Bedeutung des guten Sehens eines Verkehrsteilnehmers kann somit über Leben und Tod entscheiden. Das Unvermögen, scharf zu sehen, hat eine besondere Relevanz im Sinne einer gutachterlichen Prüfung und Feststellung der Fahrtüchtigkeit oder sogar der Fahrtauglichkeit [25]. Die Straßenverkehrszulassungsverordnung § 31 Abs. 2 StVZO [6] legt die grundsätzliche Verantwortlichkeit des Fahrzeughalters im öffentlichen Verkehr fest. Die konkreten Vorgaben zur Fahrtauglichkeit und deren Anwendung trifft der Gesetzgeber in den Bestimmungen der aktuellen Fahrerlaubnisverordnung (FeV) und ihren Anlagen [1, 7].
Die Polizei vor Ort bewertet die aktuelle Fahrtüchtigkeit des Fahrers in der tatsächlichen Situation und stellt ggf. auch die generelle Fahrtauglichkeit infrage. Dafür müssen aber eine Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und ein gut begründeter Verdacht bestehen, um eine konsekutive Überprüfung der Fahrtauglichkeit durch die Fahrerlaubnisbehörde anzuordnen. Die Kontrollorgane haben bisher nur die Möglichkeit, auffällige Fahrer anlassbezogen, mittels Tests vor Ort auf Alkohol und Drogen zu prüfen, nicht aber eine begrenzte Wahrnehmung des Lichtsinns oder des Gesichtsfeldes und auch andere Mängel ausreichend objektivierbar zu prüfen [8].
Die Daten des statistischen Bundesamtes und die in noch weit größerem Umfang veröffentlichten Daten der Autoversicherer belegen eine deutliche Diskrepanz zwischen den bei der Polizei angezeigten Unfällen und den tatsächlich bei den Versicherungen abgerechneten Fällen, ohne die Fahrtüchtigkeit – auch bei mehrfachen Unfällen desselben Fahrers – ausreichend zu hinterfragen [911]. Die Polizeiakademie Hamburg bewertete intern und retrospektiv mehrere hundert PKW-Unfälle (2019–4/2020) im Stadtgebiet. Diese Untersuchungen gaben Hinweise darauf, dass bei den noch verfolgbaren Fällen ungefähr bei 18 % der beteiligten Fahrer eine erhebliche Beeinträchtigung des Sehens – unabhängig von ggf. anderen Defiziten – vorlag [12].
Aufgrund all dieser Beobachtungen darf angenommen werden, dass die Dunkelziffer von potenziell visuell fahruntüchtigen Fahrzeugführern in Deutschland deutlich höher liegt, als bisher angenommen. Der BVA (Berufsverband der Augenärzte) geht dabei von mindestens 300.000 Verkehrsteilnehmern aus [10], wobei es sich hier offensichtlich um eine reine Schätzgröße ohne belastbare Nachweise handelt, sodass diese Zahl mit entsprechender Vorsicht wahrgenommen werden muss. Allerdings steckt die Polizei in einem Dilemma, wenn es darum geht, diese potenziell verkehrsgefährdenden Personen im Straßenverkehr zu identifizieren. Entstehen nämlich aufgrund der Fahrweise, eines Unfallgeschehens oder auch bei einer verdachtsunabhängigen Kontrolle Zweifel an der Fahrtüchtigkeit, so wird regelmäßig eine Intoxikation bei dem Fahrzeugführer vermutet (Alkohol oder Drogen). Kann diese ausgeschlossen werden, werden weitergehende Maßnahmen seitens der Polizei nur sehr selten getroffen. Die Gründe hierfür liegen in der Unkenntnis, welche Kriterien für die Bewertung der Fahreignung von Bedeutung, welche Testverfahren zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit geeignet sind, und schließlich an dem Umstand, dass gefahrenabwehr- und fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen in diesem Zusammenhang noch nicht aussagekräftig aufgearbeitet wurden. Es war daher Ziel dieser Arbeit, ein Pilotprojekt der Polizei Niedersachsen mit unserer Augenklinik zu beschreiben, in dem Polizeibeamte trainiert wurden, Tests zur orientierenden Überprüfung der Sehfähigkeit des Autofahrers direkt vor Ort („Car-side-Testing“) zu erlernen.

Material und Methoden

Erstmals werden in einem Pilotprojekt der MHH (8964_BO_K_2020) mit der Polizei Hildesheim die bisher etablierten Testverfahren zum Screening auf Alkohol und Drogen erweitert. Dazu werden vor Ort zusätzlich durchgeführte Prüfungen wie ein neurologisch/orthopädisches Screening zur Erkennung von Einschränkungen eines auffälligen Fahrers insbesondere um die Überprüfung visueller Defizite wie Visus und Gesichtsfeld erweitert. Dafür wurden Beamte der Polizei speziell geschult, um in der konkreten Situation systematisch Fragen zu stellen, Tests durchzuführen und zu bewerten.
Bezüglich dieses Vorgehens wurde zur Erhöhung der Handlungssicherheit mit der Fahrerlaubnisbehörde (Landkreis Hildesheim) ein Überprüfungskonzept abgestimmt, das sich inhaltlich an den Anlagen 4 und 6 der Fahrerlaubnisverordnung [1] sowie der Verwaltungsrechtsprechung orientiert. Das Konzept gliedert sich in verschiedene Bereiche: Befragung des Fahrzeugführers zu Erkrankungen, körperlichen Einschränkungen und zur Medikamenteneinnahme (Anamnese), die Bewertung des psychophysischen Gesamtzustandes und die Durchführung von „Augentests“ und körperlichen Mobilitätstests. Nach Abschluss der Überprüfung ist zu entscheiden, ob der betroffenen Person die Weiterfahrt aus gefahrenabwehrrechtlichen Gründen zu untersagen ist oder nicht. Seitens der Polizei erfolgt dann eine unverzügliche Berichterstattung, auf deren Basis die Fahrerlaubnisbehörde tätig wird.
Wie sieht das polizeiliche Vorgehen – in dem die visuellen Untersuchungsmethoden nun erstmals implementiert sind – im Einzelnen aus? Dazu wird ein standardisierter Erhebungsbogen regelhaft abgearbeitet (Abb. 1). Bei der Anamnese wird nach verschiedenen Erkrankungen, Beeinträchtigungen und gesundheitlichen Störungen gefragt, die alle für sich alleine oder in der Gesamtheit zu einer Beeinträchtigung der Fahreignung führen können. Die Befragung zur Medikamenteneinnahme umfasst das Medikament als solches (Name bzw. Wirkstoff), den Zeitpunkt der letzten Einnahme und einen möglichen Dosiswechsel. Es wird seitens der Polizei davon ausgegangen, dass zu Beginn einer Therapie wie auch bei einem Dosiswechsel bei relevanten Medikamenten (z. B. Blutdruckmedikamenten) eine Fahruntüchtigkeit über einen Zeitraum von etwa 10 Tagen bestehen kann. Auch kann zu Beginn einer medikamentösen Therapie ein psychophysisches Leistungsdefizit auftreten, das einer Alkoholisierung von 0,5 Promille entspricht (DRUID 2011; Verkehrsmedizin Würzburg). Mit der Dokumentation des psychophysischen Gesamtzustandes sollen der momentane Zustand und der Eindruck, den der Fahrzeugführer bei den kontrollierenden Beamten hinterlässt, beschrieben werden.
Die Augenüberprüfung umfasst die Reaktionsprüfung auf Lichtreize, die allgemeine Motilitätsprüfung, die Sehschärfenüberprüfung (Visus) und die Gesichtsfeldüberprüfung mittels Fingerperimetrie. Die Reaktionsprüfung auf Licht und die Motilitätsprüfung (u. a. ruckfreies Augenfolgen) entsprechen dem bekannten Vorgehen bei der Drogenerkennung. Es wird davon ausgegangen, dass eine eingeschränkte Augenmotilität das binokulare Umfeldsehen generell reduzieren kann. Zudem kann es bei Inkongruenz beider Augen zu binokularen Doppelbildern kommen, die eine Einschätzung von Situationen im Straßenverkehr und auch eine entsprechende Sicht auf z. B. das Tachometer im PKW deutlich einschränken bzw. unmöglich werden lassen. Zusätzlich kann das dreidimensionale Sehen oder auch das Stereosehen – zumindest in kürzeren bis mittleren Distanzen, in denen es mindestens als wichtig und hilfreich erachtet wird – beeinträchtigt sein, sodass Entfernungen nicht mehr richtig eingeschätzt werden können. Mit der Visusüberprüfung (mithilfe einer genormten Sehlesetafel, einer Handy-App oder konsekutiv eines Sehtests beim Optiker) soll die Überprüfung auf Sehdefizite komplettiert werden.
Bezüglich weiterer körperlicher Mobilitätstests werden mit dem Nacken- und Schürzengriff die Funktionalitäten des Schultergelenks, des gesamten Schultergürtels, des Ellbogengelenks, des Handgelenks und des Daumens überprüft. Der Nackengriff wird derart durchgeführt, dass die Arme hinter den Kopf geführt und die Handinnenflächen an den Hinterkopf gelegt werden. Beim Schürzengriff werden die Arme nach hinten und innen gedreht, so als ob eine Schürze zugebunden wird. Berührt der Handrücken den 7. Brustwirbel, so kann von einem normalen Bewegungsausmaß ausgegangen werden. Mithilfe des Schulterblicks (rechts und links) wird insbesondere die Mobilität der Halswirbelsäule geprüft. Ein Drehwinkel von jeweils 60–80° ist als eine normale Beweglichkeit zu bewerten. Der Hacke-Spitze-Stand eignet sich zur Überprüfung der Muskelkraft und Koordinationsfähigkeit im Fußbereich; ebenso können „nervöse“ Störungen festgestellt werden. Der Proband soll sich zur Durchführung des Tests gleichzeitig auf die Hacken und anschließend gleichzeitig auf die Zehenspitzen stellen. Bei Bedarf kann er sich festhalten. Mithilfe dieser Testverfahren können Beweglichkeitseinschränkungen des Schultergürtels, der Halswirbelsäule und der Extremitäten festgestellt werden, welche die Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher zu führen, erheblich einschränken können. Ergeben sich aufgrund Desorientierung oder Verwirrtheit des Probanden Anhaltspunkte für eine Hirnleistungsstörung, sollte die „Uhrzeit-Zeichnung“ durchgeführt werden. Der Uhrentest ist ein Schnell-Screening-Verfahren, welches die Fähigkeit zur Visuokonstruktion [13] erfasst. Dabei werden das abstrakte Denken und die Gedächtnisfunktion des Probanden mithilfe komplexer Formen oder Muster getestet. Eine Störung kann z. B. ein Hinweis auf Alzheimer-Demenz sein.
Nach Abschluss der Befragung und der Testverfahren werden die Ergebnisse unverzüglich der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde übersandt. Der Proband kann in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass er aufgrund der Bestimmung der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde eine Mitwirkungspflicht hat und diese gemäß § 46 i. V. m. § 11 Abs. 8 der FeV berechtigt ist, weitergehende kostenpflichtige Begutachtungen zur Überprüfung der Kraftfahreignung anzuordnen und ggf. bei fehlender Mitwirkung auch auf die Nichteignung schließen zu dürfen.
Sollte nach Beendigung des Testverfahrens und der Bewertung der Ergebnisse eine Untersagung der Weiterfahrt erforderlich sein, werden zur Durchsetzung einzelfallbezogene Maßnahmen getroffen. Vorgenannter Maßnahmenkatalog ist auch bei Verkehrsstraftaten respektive Verkehrsunfällen zur Anwendung zu bringen. Die Rechtsgrundlage ist hierbei in § 81a StPO (körperliche Untersuchung) zu finden.

Ergebnisse

Die Polizei Niedersachsen hat mit der Neuausrichtung ihres Ausbildungskonzeptes zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit seit dem Jahr 2022 erstmals auch Prüfungen zur Sehtüchtigkeit inkludiert. Mittlerweile sind in Niedersachsen über 150 Beamte (Stand Mai 2023) ausgebildet worden und haben jetzt die Berechtigung, „qualifizierte Fahrtüchtigkeitsprüfungen“ durchzuführen (s. auch [14, 15]) Diesbezüglich wurde bereits eine Vielzahl von entsprechenden Verkehrsprüfungen durchgeführt, und die Weiterfahrten von Verkehrsteilnehmern mit erheblichen visuellen Defiziten wurden unterbunden. Das oben beschriebene Verfahren wird im polizeilichen Dienst immer dann angewandt, wenn Zweifel an der Fahrtüchtigkeit des Fahrzeugführenden bestehen und eine Intoxikation nicht offenkundig ist. Es versetzt die Polizeibeamten/-innen in die Lage, anhand von objektiven Kriterien eine erste Bewertung der Fahrtüchtigkeit vorzunehmen. Dabei wird nicht verkannt, dass das Verfahren nicht allumfassend ist und dass es auf keinen Fall eine ärztliche Begutachtung ersetzen kann. Es ist aber dazu geeignet, ausreichende Hinweise dafür zu gewinnen, um eine (ärztliche) Eignungsprüfung über die Fahrerlaubnisbehörden anzuregen. Darüber hinaus bildet das Ergebnis dieses Verfahrens die Grundlage für die polizeiliche Gefahrenprognose (Weiterfahrt untersagen oder nicht?). Erste Erfahrungen haben auch gezeigt, dass die Ergebnisse dieses Verfahrens sowohl die Fahrerlaubnisbehörden als auch die Staatsanwaltschaften in die Lage versetzen, zielgerichtet weitere Maßnahmen zu initiieren.
Bezüglich der Sehprüfungen wird folgendermaßen vorgegangen: Im Erhebungsbogen wird der Augenstatus anhand des Erfassungsbogens (Abb. 1) beurteilt. Es wird nach Sehhilfen gefragt und abgeschätzt, ob der Proband kurz- oder weitsichtig ist. Zusätzlich wird gefragt, wann die letzte Augenuntersuchung beim Augenarzt oder zumindest ein Sehtest beim Augenoptiker stattgefunden hat. Das äußere Auge wird angeschaut und der Status (unauffällig, gerötet, geschwollen, wässrig, trübe, etc.) beschrieben. Die Reaktion auf Licht wird überprüft und das Pupillenspiel als prompt, träge oder lichtstarr erfasst. Zusätzlich wird anhand der binokularen Pupillenausrichtung auch eine eventuelle Schielstellung evaluiert und/oder geschaut, ob ein Ruhenystagmus vorhanden ist. Zur Überprüfung der Augenmotilität wird der Proband gebeten, bei ruhig gehaltenem Kopf in die 4 „Hauptrichtungen“ rechts, links, oben und unten (polizeiliche Testung so definiert; ophthalmologisch wären selbstverständlich mehr Blickrichtungen zu testen) zu blicken. Es wird dokumentiert, ob die Motilität eingeschränkt ist oder nicht. Das Training zur orientierenden Gesichtsfelduntersuchung (Dokumentation Gesichtsfeld eingeschränkt ja/nein) gestaltete sich umfangreich. Der Untersuchungsablauf ist in Anlage 1 beschrieben (Anlage 1). Demnach wird die Durchführung der klassischen Konfrontationsperimetrie gefordert, bei der Untersucher und Proband einander gegenüberstehen oder sitzen und das jeweils gegenüberliegende Auge einseitig zuhalten, der Proband mit dem freien Auge auf das offene Auge des Untersuchers schaut und der Untersucher in den 4 Quadranten des zu untersuchenden Auges nach der Sehfähigkeit der ganzen Hand (in den äußeren Bezirken) oder nach Fingerbewegung/Fingerzählen (in den inneren Bezirken) fragt. Bezüglich der Dokumentation werden die erkannten vs. der nicht erkannten Quadranten erfasst (Abb. 1; Anlage 1).
Als zunächst recht schwierig bewerteter und zuletzt mit aufgenommener Test wurde die Visusprüfung implementiert. Aufgrund der Tatsache, dass diese regelhaft bei nicht standardisierten Lichtverhältnissen mittels Visustafel oder Handy-App durchgeführt wird, sollte ein gewisses Verständnis von Myopie, Hyperopie und natürlich der Presbyopie seitens des Testenden vorliegen. Die gesetzlich geforderte Sehschärfe bei einem Fahrerlaubnisinhaber muss nach Anlage 6 der FeV 0,5 beidäugig oder am besseren Auge betragen, und Fehlsichtigkeiten müssen – soweit möglich und verträglich – korrigiert sein [1]. Das entsprechende Vorgehen wird anhand der Anlage 2 innerhalb des polizeilichen Trainings entsprechend vermittelt (Anlage 2). Grundlegend wird für die Überprüfung eine Sehtafel mit Landolt-Ringen für die Visusstufe 0,5 in einem Abstand von etwa 2 m auf der Dienststelle genutzt. Im „Car-side“-Test wird in der Handy-App die Größe der Optotypen entsprechend der eingestellten Entfernung von mindestens 1,5 m angepasst. Dabei kann am Streifenwagen die Distanz bestimmter Marken wie beispielsweise an der A‑Säule und an der C‑Säule vermessen werden, sodass die adäquate Prüfentfernung gesichert eingehalten wird. Die Überprüfung wird gleichzeitig mit beiden Augen durchgeführt; eine Einzeltestung der Augen erfolgt nicht. Angeboten werden auf der Testtafel 2 Reihen mit je 5 Optotypen; der Test ist bestanden, wenn 3/5 Optotypen einer Reihe sicher gelesen werden konnten. Wird dieses Ergebnis nicht erreicht, wird von einer nicht ausreichenden Sehschärfe ausgegangen und die Weiterfahrt untersagt. Wichtig ist, dass dieser „Car-side“-Test natürlich nicht eine augenärztliche Untersuchung oder einen amtlichen Sehtest ersetzt, das Ergebnis allerdings als so aussagekräftig angesehen werden kann, dass weitere polizeiliche Maßnahmen, wie z. B. die Untersagung der Weiterfahrt, getroffen werden können.
Die dargestellten Maßnahmen zur Überprüfung von Defiziten des Sehvermögens wurden bereits in vielen Fällen – aber noch nicht standardisiert in jedem Fall – zur Anwendung gebracht. Eine Listung von Fällen der Hamburger Polizei von 2021, bei denen Fahrzeugführer aufgefallen sind, summiert beispielsweise n = 29 Fälle mit visuellen Defiziten (14-mal Visusdefizit, 8‑mal Gesichtsfeldausfälle, 4‑mal Nystagmus, 2‑mal Motilitätsstörungen, 1‑mal Strabismus), bei denen in 22 Fällen (75,9 %) der Führerschein sichergestellt wurde. Dieses unterstreicht, wie wichtig die Beurteilung visueller Fähigkeiten bei Fahrzeugführern ist. Die folgenden 2 Falldarstellungen heben dieses beispielhaft hervor:
Fall 1.
Eine 43-jährige Autofahrerin fährt mit ihrem PKW auffällig langsam auf der Autobahn und reagiert bei Überhohlmanövern unsicher. Bei der Kontrolle gibt sie an, gesund zu sein, und fällt weder beim Drogen- oder Alkoholtest auf, neurologische und orthopädische Tests sind unauffällig, sie nimmt keine Medikamente. Auf Nachfrage gibt sie an, in den letzten 2 Jahren einige „Parkrempler“ gehabt zu haben, und sie habe zurzeit einfach zu viel Stress. Der freiwillig durchgeführte „Car-side“-Test ergibt eine beidäugige Sehschärfe mit ihrer 8 Jahre alten Brille von 0,4. Das Konfrontationsgesichtsfeld ist unauffällig. Es wird eine Meldung bei der Fahrerlaubnisbehörde eingereicht, die die Vorlage eines Attests einer ausreichenden Sehschärfe der Verkehrsteilnehmerin verlangt. Dieses belegt mit einer angepassten optischen Korrektur eine Sehschärfe von RA 0,8 cc und LA 1,0 cc. Es wird schließlich eine neue Brille ordiniert, und Tränenersatzmittel werden empfohlen. Die Fahrerlaubnis bleibt bestehen.
Fall 2.
Ein 72-jähriger Autofahrer hat mit seinem PKW in einer 30er-Zone die Vorfahrt missachtet und ist mit geringer Geschwindigkeit gegen ein anderes Fahrzeug gefahren. Beide Fahrzeugführer sind unverletzt. Trotz eines nur geringen Schadens an den Autos und gegen den Widerstand des Unfallverursachers wird die Polizei hinzugezogen und stellt mittels des Screeningtests Hinweise auf Defizite der Beweglichkeit der Halswirbelsäule, der Extremitäten und auch neurologische Defizite fest. Die beidäugige Gesamtsehschärfe beträgt 0,6 mit eigener Korrektur, im Konfrontationsgesichtsfeld zeigen sich aber Hinweise auf erhebliche Einschränkungen und Ausfälle in mehreren Quadranten. Das Weiterfahren wird dem Fahrer untersagt, und die Fahrerlaubnisbehörde wird benachrichtigt. Im Verlauf wird bei der von der Fahrerlaubnisbehörde angeordneten Eignungsprüfung neben einer Arthrose und einer beginnenden Demenz auch ein dem Fahrer schon seit vielen Jahren bekanntes endständiges Glaukom mit entsprechenden Gesichtsfelddefekten festgestellt. Ebenso wird eine trockene Makuladegeneration mit einem Visus von rechts 0,4 cc und links 0,6 cc diagnostiziert. Die Fahrerlaubnis wurde eingezogen, ein Strafverfahren ist anhängig.

Diskussion

Schwere Verkehrsunfälle gehören leider zum Alltag auf bundesdeutschen Straßen und ziehen eine Vielzahl von Fragen nach sich. So wird zu Recht nach der Ursache gefragt, um nach Beantwortung dieser Frage entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten oder wirksame Strategien zu entwickeln. Die Verkehrspolizei leistet hierzu einen wesentlichen Betrag. Insbesondere im präventiven Bereich werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um beispielsweise intoxikierte Fahrzeugführer rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen, um so schwere Unfälle zu vermeiden. Eine Beeinflussung durch zentralwirksame Substanzen (Alkohol, Drogen, Medikamente) gehört wahrscheinlich unbestritten zu den Hauptursachen für schwere Verkehrsunfälle. Als ebenso gravierend ist aber natürlich auch eine reduzierte oder eingeschränkte Sehfähigkeit des Fahrzeugführers einzustufen, die bisher seitens der Polizei nicht überprüfbar gewesen ist.
Besonders häufig ist bei Unfällen mit dem PKW der Lichtsinn ein bisher in der Realität somit nicht hinlänglich abgebildeter Faktor [16]. Das Sehen ist aber der mit Abstand wichtigste Sinn für die Teilnahme am Straßenverkehr. Dennoch wird dieser in Deutschland für PKW-Fahrer – im Gegensatz zu anderen Ländern der EU – nach dem Führerscheinerwerb nicht mehr gesetzmäßig überprüft. Eine Nachprüfung ist laut aktueller Rechtsprechung an die Verhältnismäßigkeit und die begründeten Zweifel gekoppelt. Zu behaupten, dass der Unfallgegner somit nicht „richtig gucken“ konnte, mag daher vielleicht nicht selten eine korrekte Feststellung und darüber hinaus versicherungstechnisch relevant sein. Viele Verkehrsteilnehmer sind sich ihrer Einschränkungen nicht bewusst, da diese – wie es typischerweise bei chronischen Augenerkrankungen der Fall ist – häufig nur langsam voranschreiten.
Bei schleichenden Veränderungen der Sehschärfe oder auch Einschränkungen des Gesichtsfeldes bestehen tagsüber oft noch eine gute Sehschärfe und Orientierungsfähigkeit. Bei höheren Sehanforderungen (nachts, hohe Geschwindigkeit, Dämmerlicht, Regen, Blendung etc.) können Einschränkungen dann aber nicht mehr ausreichend kompensiert werden [17, 18]. Die Einschränkungen des Sehens potenzieren aber die Auswirkungen auf das Erkennen und das darauffolgende Reagieren. Weitere Faktoren (Alkohol, Drogen, Medikamente, neurologische und orthopädische Defizite) bestimmen dann zusätzlich noch negativ die Reaktionsfähigkeit und das Fahrverhalten [5, 11, 19]. Damit die Fahrerlaubnisbehörden eine Überprüfung der Fahreignung anordnen können, muss aber zwingend in jedem Einzelfall die Verhältnismäßigkeit von einschränkenden Maßnahmen gegenüber dem hohen Rechtsgut der Freiheit jedes Einzelnen zur Teilnahme am Straßenverkehr abgewogen werden. Dafür ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob weitere Untersuchungen subjektiv und objektiv ausreichend begründet sind.
Durch das Instrument des neu ausgearbeiteten „Car-side“-Tests kann den Beamten eine neue, praktikable Möglichkeit an die Hand gegeben werden, den Fahrerlaubnisbehörden fundiert und begründet zu empfehlen, weitere Maßnahmen anzuordnen, und eben im begründeten Fall direkt die Weiterfahrt zu untersagen.
Bei deutlichen Hinweisen auf eine hohe Dunkelziffer von unterschiedlichen körperlichen Defiziten und insbesondere von visuellen Defiziten, die das Führen eines Kraftfahrzeugs erschweren oder sogar bezüglich der Eigen- und gerade auch Fremdgefährdung unmöglich machen, ist eine Übersichtstestung des Gesichtsfeldes und der beidäugigen, zentralen Gesamtsehschärfe analog zu den etablierten Alkohol- und Drogentests folgerichtig. Das neue Konzept und die weiterreichenden Befugnisse der „Vor-Ort-Testung“ von möglichen körperlichen Mängeln gibt den Beamtinnen und Beamten nun ein Tool an die Hand, ihre Entscheidung objektivierbar zu machen, Fehlentscheidungen zu reduzieren und somit auch selber weniger angreifbar zu sein, sofern es doch zu entsprechenden Fehlentscheidungen mit Führerscheinsicherstellung („auf gefahrenabwehrrechtlicher Basis nach erfolgter und zu bejahender Gefahrenprognose“) gekommen ist. Wenn man sich fragt, ob die Polizei überhaupt körperliche Tests durchführen darf, die seitens des Verkehrsteilnehmers auf Freiwilligkeit beruhen, so lassen nun die „qualifizierten Fahrtüchtigkeitsprüfungen“ nach entsprechender Ausbildung [15] genau diese Möglichkeiten zu.
Eine Ermächtigungsnorm für die Überprüfung der Verkehrstüchtigkeit ist in der Straßenverkehrsordnung (§ 36 Abs. 5, Satz 1) zu finden. Demnach dürfen Polizeibeamte Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle einschließlich der Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit und zu Verkehrserhebungen anhalten. An dieser Stelle ist zu betonen, dass es sich bei den angewandten Prüfmethoden nicht um eine medizinische Untersuchung im eigentlichen Sinne handelt, sondern um einen „Check“, mit dem kontrolliert werden soll, ob bestimmte, aber wesentliche körperliche oder auch funktionelle Merkmale vorliegen oder eben nicht. So kann in der Regel auch vom medizinischen Laien relativ schnell und einfach gelernt und überprüft werden, ob z. B. Augenbewegungen regulär sind, ob die Pupillen adäquat auf Licht reagieren, ob das Gesichtsfeld grob intakt ist, und sogar auch, wie gut die Sehschärfe ist (Vorlesen lassen eines Textes über eine genormte Handlesetafel oder auch mittels Autorefraktometer in der Dienststelle, der automatisch gleichzeitig auch die richtige Brillenstärke misst). Die weiterführendende ärztliche Untersuchung kann auf Basis des Testergebnisses dann veranlasst werden.
Wieso ist diese neue Möglichkeit der Testung von körperlichen Mängeln unabhängig von Alkohol- und Drogenabusus sowie auch Medikamentenintoxikation – deren Kontrolle bis dato standardmäßig durchgeführt wurde – so wichtig? Wissenschaftlich bewiesen sind die negativen Auswirkungen des Alkohols und der Drogen auf die Konzentrationsfähigkeit und Sehfähigkeit der Probanden. Es kommt neben der reduzierten Konzentrationsfähigkeit auch zu einer Reduzierung des Sehbereichs, einer Beeinträchtigung der Akkommodationsfähigkeit und auch zu sonstigen funktionellen Störungen, wie z. B. lichtstarren Pupillen. Dieses ist der Polizei bekannt. Wie ist die Sachlage nun aber zu betrachten und zu bewerten, wenn die Ursache für diese eingeschränkte Sehfähigkeit nicht im Alkohol oder bei der Droge liegt, sondern am gesundheitlichen Zustand des Betroffenen selbst? Hier dürften insbesondere neurologische Erkrankungen, wie z. B. Morbus Parkinson oder die Alzheimer-Demenz, genannt werden, aber insbesondere auch Augenerkrankungen wie Katarakt, Glaukom und die altersabhängige Makuladegeneration (AMD), die allesamt zu deutlich reduzierter Sehleistung führen können und das Fahren eines PKWs unter den gegebenen Sicherheitsaspekten prinzipiell unmöglich erscheinen lassen. Dieses Wissen wurde bis dato aber nicht vermittelt und war somit – obwohl besonders wichtig – auch nicht Bestandteil bei Überprüfungen von Verkehrsteilnehmern. Da es aber im Ergebnis keinen Unterschied machen dürfte, was die Ursache der Einschränkung ist, sollten Personen mit entsprechenden Defiziten ebenfalls als potenzielle Verursacher von – auch schweren – Verkehrsunfällen angesehen werden. Aus diesem Grund war neben einer Überprüfung auf eine Intoxikation auch für eine Überprüfung der Sehfähigkeit inklusive Visus und Gesichtsfeld zu plädieren. In enger und bereits jahrelanger Zusammenarbeit konnten das entsprechende Wissen um typische Augenerkrankungen und die Testung von Visus und Gesichtsfeld gelehrt und trainiert werden und über Multiplikatoren innerhalb des Polizeidienstes weitervermittelt werden. Wie die Beispiele gerade der Hamburger Polizei zeigen, scheinen sich dieser Aufwand und die ausgiebigere orientierende Testung der Sehfunktion in der Hinsicht zu lohnen, dass bereits viele Fahrzeugführer lediglich aufgrund einer festgestellten defizitären Sehfunktion an der Weiterfahrt gehindert wurden und so eine Eigen- wie auch Fremdgefährdung im Straßenverkehr unterbunden werden konnte.
Der Trainingsprozess, die wesentlichen Überprüfungen der Sehleistung in Form von Visus und Gesichtsfeld neben den bereits zuvor beherrschten Tests wie Inspektion des äußeren Auges, Pupillenreaktion auf Licht und Beweglichkeit der Augäpfel (wie es ja auch bereits beim Drogenscreening praktiziert wird) gestaltete sich initial nicht einfach und dauerte mehrere Jahre, da zunächst auch eine breite Akzeptanz für diese neuen Tests bei den Kolleginnen und Kollegen erreicht werden musste. Aussagen, warum man „ärztliche“ Untersuchungen erlernen und beherrschen können sollte, benötigten natürlich entsprechende Erklärungen. Betrachtet man allerdings nun, dass bereits viele aufgrund visueller Defizite fahruntüchtige Autofahrer mit den neu implementierten Testmethoden (durch trainierte Laien!) detektiert– und im Verlauf auch fachlich verifiziert – werden konnten, so ist dieses Vorgehen hinlänglich als sinnvoll einzustufen und eine weitere Ausarbeitung unseres Erachtens obligat. Insbesondere darf zur Visusüberprüfung erwähnt werden, dass sich die Autoren sehr lange Gedanken um eine sinnvolle „Car-side“-Testung gemacht haben, bei der die Sehschärfenprüfung nun in einem genormten Fernabstand durchgeführt wird. Überlegungen, dieses in möglicherweise einfacherer Leseentfernung von 30 cm direkt im Auto zu implementieren, führten zu theoretischen Konzepten mit und ohne Anwendung einer Lesebrille von 3 dpt Stärke, die in Einzelfällen auch erfolgreich durchgeführt werden konnten. Abstufungen zur erwartbaren Sehleistung ergeben sich dabei für Probanden unter 45 Jahren ohne Brille (Sehleistung sollte im Nah- und Fernbereich gut/ausreichend sein → Leseprobe ohne Brille möglich); für Probanden über 45 Jahre ohne Brille (Sehleistung sollte im Fernbereich gut/ausreichend sein; bei möglicher Presbyopie Testwiederholung mit Lesebrille); für Probanden unter 45 Jahren mit Brille/Kontaktlinsen (für Fernsicht optisch auskorrigiert; da Akkommodation noch vorhanden, kann der Lesetest primär ohne weitere Nahkorrektur und ggf. ohne eigene Brille durchgeführt werden); und schließlich für Probanden über 45 Jahren mit Brille/Kontaktlinsen (Sehtest möglich mit eigener Gleitsichtbrille oder bei Myopie mit abgenommener eigener Fernbrille; bei Nichtbestehen Wiederholung mit zusätzlichen 3 dpt Plus). Damit könnte ggf. zukünftig eine noch genauere Messung der Sehleistung ermöglicht werden, das Verfahren setzt allerdings ein tieferes Verständnis von optisch zu korrigierenden Fehlsichtigkeiten beim Testenden voraus, gestaltet sich somit schwieriger und wurde daher in dieser Form zunächst nicht implementiert. Aktuell liegt seitens der Polizei ein durchstrukturiertes Trainingsprogramm auf modularer Basis zur Erkennung von Fahruntüchtigkeit vor (Abb. 2), wobei die Testungen für Gesichtsfeld und Visus über die Anlage 1 und 2 gelehrt werden (Anlage 1, 2).
In einem nächsten weiterführenden Schritt soll auf Basis des Erhebungsbogens (Abb. 1) ein gewichteter Score aus orthopädischen, neurologischen und eben visuellen Komponenten entwickelt werden und beispielsweise eine Weiterfahrt ab einem gewissen Punktwert untersagt werden dürfen. Dieses ist dann sinnvoll, wenn den Polizeibeamten Zweifel an der Fahrtüchtigkeit vorliegen, aber kein einzelner Schlüsselfaktor, wie z. B. Visus unter 0,5 oder ein zweifelsfrei klar erhebbarer Gesichtsfeldschaden, detektiert wird (was beides für sich hinreichend für eine Unterbindung der Weiterfahrt ausreichen würde). Des Weiteren sollen die Zahlen für die Anwendung der qualifizierten Fahrtüchtigkeitsprüfung und die Ergebnisse prospektiv erhoben werden, um Daten über den Anteil von entsprechend körperlich eingeschränkten Verkehrsteilnehmern zu erhalten, die nach objektiven Maßstäben nicht mehr in der Lage sind, ein Fahrzeug im Straßenverkehr führen zu können und führen zu dürfen. Nicht zuletzt können und sollten die Prüfmethoden selber einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess unterzogen werden, was digitale Möglichkeiten mit dem Tablet, Autorefraktor-gestützte Visusprüfungen auf der Polizeiwache und mittelfristig sogar auch telemedizinische Methoden beinhalten kann.

Fazit

Die augenärztliche Erfahrung zeigt, dass durchaus nicht wenige insbesondere ältere Menschen bei eingeschränkter Sehleistung noch einen PKW führen. Bei Fahruntauglichkeit und/oder fehlender Einsicht des Führerscheininhabers sollte ärztlicherseits u. a. die Selbstverantwortung herausgestellt werden, Angehörige sollten bei Einwilligung durch den Patienten mit einbezogen werden, und auch die interdisziplinäre Kooperation mit dem Hausarzt sollte gesucht werden [20]. Laut BASt [21] sind Ärztinnen und Ärzte nicht zur Meldung an die Führerscheinbehörde verpflichtet, eine sorgfältige Prüfung der Gefährdung Dritter sollte allerdings erfolgen. Dann wären nach bezeugter Aufklärung und einer bezeugten Fristsetzung sogar auch mit Ankündigung ein Bruch der Schweigepflicht und eine Meldung an die Fahrerlaubnisbehörde möglich [20].
Da nun in Deutschland kein obligatorischer Sehtest in bestimmten Altersstufen vorgesehen ist, gibt es keine Daten darüber, wie viele Fahrzeugführer mit unzureichender Sehschärfe am Straßenverkehr teilnehmen. Wir gehen davon aus, dass diese „Dunkelziffer“ nicht unerheblich ist und dass viele Autofahrer sich ihrer unzureichenden Sehleistung zum Teil auch gar nicht bewusst sind. In diesem Sinne ist der Einstieg der Verkehrspolizei in dargestellter Weise aus augenärztlicher Sicht unseres Erachtens deutlich zu begrüßen. Sobald Sehprüfungen im „Car-side-Testing“ flächendeckend polizeilich implementiert sind, darf davon ausgegangen werden, dass das die Sicherheit auf deutschen Straßen deutlich und nachhaltig erhöhen wird. Darüber hinaus mag es auch in vielen Fällen das Bewusstsein des Betroffenen dafür schärfen, dass er schlecht sehen kann und sich deshalb eher in fachärztliche Behandlung begibt, als er es sonst getan hätte.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M.C. Bartram, J. Kanngießer, K. Hufendiek, C. Schalhorn und C. Framme geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Überprüfung visueller Defizite durch die Polizei bei Verkehrsteilnehmern in Deutschland
verfasst von
M. C. Bartram
J. Kanngießer
K. Hufendiek
C. Schalhorn
C. Framme
Publikationsdatum
02.10.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 1/2024
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-023-01928-z

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