HSK-Präsident: „So, wie es ist, kann es im Gesundheitssystem nicht weitergehen“

Im Interview spricht der Präsident des Hauptstadtkongresses Medizin und Gesundheit, Professor Karl Max Einhäupl, über Corona-Lehren, Baustellen, die liegen geblieben sind – und Partikularinteressen, die auch Ärztinnen und Ärzten mehr schaden als nutzen. Herr Professor Einhäupl, der Hauptstadtkongress 2023 findet nach drei Jahren Corona statt. Ihre wichtigste Lehre aus der Pandemie? Ein großes Problem war von Beginn an die Art und Weise der öffentlichen Kommunikation. Erstens wurde zu wenig erklärt, warum welche Maßnahme beschlossen wurde und warum es sich lohnte, sie einzuhalten. Zum Zweiten gab es eine schreckliche Kakofonie. Jeder, der seit Jahren nix mehr sagen durfte, fühlte sich ganz plötzlich berufen, er müsse auch noch einen Kommentar abgeben – sei es zu Kontaktauflagen, zum Testen, zum Impfen, Boostern oder sonst irgendwelchen Fragen, die aufkamen. Das hat den Eindruck der Beliebigkeit erweckt und viele Menschen einfach verunsichert. Also stringentere Kommunikation? Ja, vor allem Sachlichkeit aus berufenen Mündern. Ein Vorbild könnte der Podcast des Virologen Christian Drosten sein, der die medizinisch-virologische Seite der Pandemie verständlich erklärt hat. Bei den Menschen draußen kam das jedenfalls gut an. Was nicht gelungen ist, war, dass wir die medizinische Community unter einen Hut bekommen haben. Das muss einerseits von dieser selbst ausgehen, andererseits von der Politik gesteuert werden. War unser Gesundheitssystem gut vorbereitet auf die Pandemie? Ja und Nein! Vieles wurde nicht so schlecht gemacht, wie es mitunter dargestellt wurde. Die Impfkampagne lief zügig an, erst in den Impfzentren – dort im Übrigen gestützt auf viel ehrenamtliches Engagement – und später dann dank des großen Einsatzes der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und der Praxisteams. Bis heute wurden knapp 100 Millionen Corona-Impfdosen in Praxen verabreicht – das ist schon ein Brett und unterstreicht die Bedeutung der ambulanten Medizin bei der Bewältigung der Krise. Aber auch die Krankenhäuser, insbesondere Intensivmediziner und Intensivpflegekräfte, sind bis ans Äußerste gegangen. Sie haben unter teils schwierigen Rahmenbedingungen wie dem Personalmangel in der Pflege Beachtliches geleistet und pandemiebedingte Triage vermeiden können. Deutschland muss sich also nicht verstecken vor anderen Ländern. Aber: Die bereits bestehenden Probleme in unserem Gesundheitssystem sind eben auch spürbar zutage getreten in drei Jahren Corona. Und welche Themen sind quasi liegen geblieben während Corona? Es sind die fortwährenden Themen, die sich mit der Zeit immer mehr zuspitzen. Viele wissen: So, wie es ist, kann es nicht weitergehen im Gesundheitssystem. Wir brauchen endlich die Umsetzung der Digitalisierung. Mein Wunsch: Wir sollten uns nicht nur auf die Digitalisierung von Prozessen konzentrieren, also: Wo und wie meldet sich der Patient für diese oder jene Leistung an, wie rechnen Ärzte und Krankenkassen das miteinander ab – bis hin zum papierlosen Krankenhaus. Was ist obendrein an Digitalisierung wichtig? IT-gestütztes Operieren etwa mit DaVinci oder mittels Microsoft-Brille, Mustererkennung aller bildverarbeitenden Methoden in Radiologie, Labor oder Pathologie, die Verwendung von Wearables. Oder die Nutzung von derzeit noch unstrukturierten Daten als Basis jeglichen medizinischen Fortschritts. Diese Innovationen werden unser Gesundheitssystem viel stärker verändern als die reine Prozess-Digitalisierung, und sie werden es teurer machen. Die Finanzierung ist demnach eine weitere Baustelle im System? Vielleicht noch nicht in diesem oder im nächsten Jahr. Aber die Frage, wie wir die Finanzierung des Gesundheitssystems in der laufenden Dekade noch vernünftig gestemmt bekommen, stellt sich schon. Das ist ja am Ende auch eine ethische Frage: Wie kriegen wir es auch finanziell hin, dass alle Menschen unabhängig von Status und Einkommen quasi Anspruch auf innovative Behandlungsmethoden haben? Dazu muss die Politik viel stärker auf die Ausgabenseite schauen, indem sie Strukturen so ändert, dass dies dem System nicht nur Geld spart, sondern dass dadurch auch die Qualität in der Versorgung zunimmt. Eine kluge Patientensteuerung per hausarztzentrierter Versorgung ist hier als Stichwort zu nennen. Und die geplante Krankenhausreform fällt natürlich auch in diese Kategorie. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht mit Blick auf die Reform gar von „Revolution“. Kann die gelingen– und wie? Natürlich beschleicht einen der Eindruck, dass das Vorhaben der Quadratur des Kreises gleicht. Es braucht ja nicht nur den Konsens zwischen Bund und Ländern. Die Debatte um die Versorgungslevel 1 bis 3 zeigt ja, wie schwer schon das ist. Am Ende stellt sich auch die Frage, wie kriegen sie von drei Landräten, die in angrenzenden Landkreisen drei Krankenhäuser vorhalten, mindestens einen Landrat dazu, ein Krankenhaus zu schließen oder in ein Level 1i-Haus – also in eine Art ambulant-stationäre Versorgungseinheit – umzuwandeln und dann nicht mehr gewählt zu werden. Fakt ist nun einmal, dass viele Menschen so an ihr lokales Krankenhaus gewöhnt sind, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen können, dass sie mal 30 Kilometer weiter fahren müssen zur nächsten Klinik. Und das, obwohl sie dort vielleicht besser versorgt werden. Das hat auch viel mit subjektiven Befindlichkeiten zu tun, worüber wir hier sprechen, wobei die Situation in den Metropolen noch mal eine ganz andere ist als auf dem Land. Insofern halte ich die angedachte Abstufung der Versorgungsangebote für richtig – hier müssen ambulante Strukturen und Angebote wie regionale Versorgungszentren oder auch Fahrdienste mitgedacht werden. Die Ärzteschaft will sich in die Debatten um ein resilienteres Gesundheitssystem einmischen. Wie kann das klappen? Es kann dann klappen, wenn sie sich zusammenrauft. Wir erleben bisweilen ein Hauen und Stechen zwischen Haus- und Fachärzten, zwischen niedergelassenen Ärzten und denen in den Krankenhäusern. Klar will jeder ein möglichst großes Stück vom Kuchen abhaben. Aber die Spaltung in Einzelinteressen schwächt das System insgesamt. Grundsätzlich braucht es eine Konzertierte Aktion Gesundheit, bei der nicht ausschließlich Partikularinteressen gepflegt und bedient werden. Das führt nur zur gegenseitigen Blockaden. Kongresse gibt es zuhauf. Was macht den Hauptstadtkongress besonders? Entstanden ist der Hauptstadtkongress 1998 aus einem überschaubaren Krankenhauskongress. Über die Jahre hat der HSK es vermocht, sich als das Top-Branchenereignis der Gesundheitswirtschaft in Deutschland zu etablieren. Die ursprüngliche Idee, Bundes- und Landespolitik mit Leistungserbringern, Kostenträgern, Industrie und Wissenschaft an einem Ort und über mehrere Tage hinweg zu versammeln, um Probleme und Reformvorschläge intensiv, berufsgruppenübergreifend und miteinander zu diskutieren, ist zwar oft kopiert und weiterentwickelt worden, aber sie trägt den Hauptstadtkongress im Wesentlichen heute noch. Und die Themen gehen offensichtlich nicht aus. Im Gegenteil: Viele Herausforderungen sind zugespitzt, weil „ungelöst“. Auch wenn man Kongressprogramme aus der Vergangenheit neben aktuelle legt, wird das deutlich. Aber wir bleiben dran. Und wie würde die Schlagzeile am Ende des Kongresses lauten, die Sie sich am meisten wünschen? Dass wir einen Anstoß geliefert haben, medizinische und pflegerische Versorgung in Deutschland nicht anders, sondern besser zu machen. Professor Karl Max Einhäupl studierte Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und wurde dort 1975 promoviert. 1986 wurde er im Fachgebiet Neurologie habilitiert. Von 2008 bis 2019 war er Vorstandschef der Charité. Seit 2020 ist er Präsident des Hauptstadtkongresses. Der Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2023 findet vom 14. bis 16. Juni im HUB27 Berlin statt. Quelle: Ärzte Zeitung

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