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16.09.2021 | Online-Artikel

Eine chronische Erkrankung kommt selten allein

Schon im 17. Jahrhundert wusste man um den Zusammenhang zwischen Diabetes und Depression. Aber Hand aufs Herz: Denken Sie immer an die regelmäßige Blutzuckerkontrolle bei Ihren Depressionspatienten? Über unglückliche Kombinationen und was Sie bei deren Behandlung beachten sollten.

Depressionspatienten regelmäßig auf Diabetes screenen

Eine Metaanalyse mit Daten von über 2,4 Millionen Personen ergab für Depressionspatienten ein um 41 % erhöhtes Risiko, an Diabetes zu erkranken. Für Typ-2-Diabetes war das Risiko um 32 % erhöht [2,3].

Diabetogen wirkende Faktoren einer Depression sind:

  • Lebensstilfaktoren, wie falsche Ernährung und Bewegungsmangel,
  • chronischer Stress mit reduzierten Erholungsphasen, die zu einer übermäßigen Aktivierung der Stressachse führen können und
  • eine Aktivierung des Immunsystems mit Verstärkung proinflammatorischer Prozesse [3].

Praxistipp: Regelmäßiges Diabetesmonitoring

Bei Patienten mit affektiven Störungen sollte regelmäßig mindestens ein Gelegenheitsblutzucker gemessen werden. Besser sollte jedoch der Nüchternblutzucker erfasst, ein oraler Glukosetoleranztest oder eine HbA1c-Bestimmung durchgeführt werden [2].

Bidirektionaler Zusammenhang: Diabetes fördert Depressionen

Ist eine Person bereits an Diabetes erkrankt, ist ihr Risiko, eine Depression zu entwickeln, um das Zweifache erhöht [4]. Besonders gefährdet sind Patienten mit:

  • Stoffwechselentgleisungen (Ketoazidosen, Hypoglykämien), 
  • diabetesbedingten Folgeerkrankungen, 
  • einer schlechten glykämischen Kontrolle (HbA1c > 9 %) und 
  • erhöhten Diabetesbelastungen [2].

Praxistipp: Depressionen bei Diabetes erkennen

Zum Depressions-Screening eignet sich der WHO-5 Fragebogen, der PHQ-D, ebenso wie der 2-Fragen-Test [3,4]. Oft stehen aber auch körperliche Symptome im Vordergrund [3].

Eine genaue Differenzialdiagnostik ist bei diesen Patienten essenziell, da die Symptome denen einer Hypoglykämie, Ketoazidose oder Folgeerkrankungen wie Demenz und Nephropathie ähneln können [3].

Antidepressiva bei Diabetes: Cave Gewichtszunahme & Glukosestoffwechsel

Insbesondere bei Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes (z. B. erbliche Belastung, Übergewicht, Gestationsdiabetes) sollten keine Substanzen eingesetzt werden, die zu einer relevanten Gewichtszunahme führen oder den Glukosestoffwechsel beeinflussen können. Zu nennen sind hier trizyklische Antidepressiva und Mirtazapin. Bevorzugt werden sollten SSRI. Dabei ist eine erhöhte Insulinsensitivität und demzufolge ein geringerer Insulinbedarf zu beachten, um Hypoglykämien zu vermeiden. Insgesamt sollten das relativ höhere Durchschnittsalter und hohe Raten kardiovaskulärer Begleiterkrankungen dieser Patienten bei der Auswahl der Medikation beachtet werden [3].

Neben der medikamentösen Therapie wird eine Psychotherapie empfohlen, die bei der Krankheitsverarbeitung und -akzeptanz unterstützen kann, ggfs. ergänzend auch Entspannungsverfahren (Yoga, Achtsamkeitstraining, QiGong) [1,4].

Tinnitus: Ein Störgeräusch auch für die Seele

Die Punktprävalenz für einen akuten und chronischen Tinnitus liegt in Deutschland bei 3,9 %. Bei etwa 2,7 Millionen Bundesbürgern besteht ein chronisches Ohrgeräusch und 1,5 Millionen leiden mittelgradig bis unerträglich unter Tinnitus (dekompensierter Tinnitus) [5]. Dieser wirkt sich störend auf sämtliche Lebensbereiche aus und kann zur Entwicklung oder Verschlimmerung von Komorbiditäten wie Angstzuständen, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und Depressionen führen [6].

Laut einem aktuellen systematischen Review von 28 Studien und knapp 10.000 Patienten leiden 33 % der Tinnituspatienten unter einer komorbiden Depression. Da psychologische Prozesse zu einer Verstärkung von Wahrnehmung und Schweregrad des Tinnitus führen können, empfehlen die Autoren ein regelmäßiges Depressionsscreening bei Tinnituspatienten [7].

Die manualisiert-strukturierte tinnitusspezifische kognitive Verhaltenstherapie hat sich sowohl in Bezug auf die Tinnitusbelastung als auch auf Depressions-Scores als hochwirksam erwiesen [6]. Laut Tinnitusleitlinie soll eine psychiatrische Komorbidität darüber hinaus gemäß der jeweiligen Leitlinien behandelt werden [6].

Praxistipp: Tinnitus als Nebenwirkung beachten

Tinnitus kann auch als Nebenwirkung verschiedener Antidepressiva auftreten, so z. B. bei manchen trizyklischen Antidepressiva (wie Amitriptylin – gelegentlich) [8,9]. Bei Citalopram wird Tinnitus sogar als häufige Nebenwirkung genannt [10]. Der vermutete Mechanismus laut einer Studie an Mäusen: Eine erhöhte Serotoninkonzentration schwächt die Signale auditorischer Fasern ab und verstärkt gleichzeitig den Einfluss anderer Sinnesreize. So werden Signale, die gar nicht direkt aus dem Ohr kommen, in die Hörleitung eingespeist [11, 12].

Depression bei koronarer Herzerkrankung

Depressionen gelten als unabhängiger Risikofaktor für die kardiale Mortalität nach einem Myokardinfarkt. Das Risiko für die Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung wird durch Depressionen erhöht [13]. Das Dilemma: Viele Antidepressiva sind für Herzpatienten wegen spezifischer kardialer Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Herzmedikamenten nicht geeignet.

Literatur:

[1] Sartorius N. Depression and diabetes. Dialogues Clin Neurosci 2018;20(1):47-52.
[2] Kulzer B. Diabetes und Depression. Heilberufe 2020;10.
[3] Yu M et al. Depression and Risk for Diabetes: A Meta-Analysis. Can J Diabetes 2015;39(4):266-72.
[4] Künzel H. Zusammenhänge zwischen Depression und internistischen Erkrankungen. MWW Fortschr Med 2020;162(17).
[5] Deutsche Tinnitus-Liga e.V. Was ist Tinnitus? Unter: https://www.tinnitus-liga.de/pages/tinnitus-sonstige-hoerbeeintraechtigungen/tinnitus.php (abgerufen am 17.03.2021).
[6] S3-Leitlinie „Chronischer Tinnitus“. Stand: 28.02.2015 (in Überarbeitung). Unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-064l_S3_Chronischer_Tinnitus_2015-02.pdf
[7] Salazar JW et al. Depression in Patients with Tinnitus: A Systematic Review. Otolaryngol Head Neck Surg 2019;161(1):28-35.
[8] Tinnitus als Medikamentennebenwirkung. Unter: https://www.thieme.de/de/gesundheit/tinnitus-medikamentennebenwirkung-45190.htm (abgerufen am 17.03.2021).
[9] Fachinformation Amitriptylin-CT 25 mg/75 mg Tabletten. Stand November 2018.
[10] Fachinformation Citalopram AL 10 mg/- 20 mg/- 40 mg Filmtabletten. Stand November 2020.
[11] Fischer L. Antidepressiva fördern wohl Störgeräusche im Ohr. Unter:  https://www.spektrum.de/news/antidepressiva-foerdern-wohl-stoergeraeusche-im-ohr/1496759#:~:text=Tinnitus%20und%20SSRI%20Antidepressiva%20f%C3%B6rdern,Signalstoff%20l%C3%A4sst%20H%C3%B6r%2DSchaltkreise%20rauschen. (abgerufen am 17.03.2021).
[11] Tang ZQ et al. Serotonergic Modulation of Sensory Representation in a Central Multisensory Circuit Is Pathway Specific. Cell Reports 2017;20(8):1844-1854.
[12] Voderholzer U, Hohagen F. Therapie psychischer Erkrankungen. State of the art. 16. Auflage, Elsevier 2021.

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